Die Begegnung Hansa Rostock gegen Hertha BSC hat viele Geschichten zu erzählen.
Am Sonntag um 15.30 Uhr empfängt Zweitliga-Absteiger FC Hansa Rostock in der ersten Runde des DFB-Pokals den Hertha Berliner Sportclub im Ostseestadion. Erstmals seit 2017 (damals siegte die Hertha mit 2:0 an der Ostsee) treffen die zwei Kontrahenten wieder im Pokal aufeinander. In Erinnerung blieb das Duell jedoch weniger aus sportlichen Gründen, sondern viel mehr aufgrund der Geschehnissen auf den Rängen.
Der direkt neben der Heimkurve liegende Gästeblock trat damals ganz in weiß auf - erst nachdem auf der Südtribüne ein Spruchband mit der Aufschrift "Kein Angriff auf Hansafans bleibt ungesühnt" entrollt wurde, einige Rostocker auf den Gästeblock zugingen, wechselte die Farbe im Hertha-Block schnell von weiß zu schwarz, denn man ahnte wohl schon, dass es ungemütlich werden würde.
Die Hansa-Anhänger begannen schließlich, die seit September 2014 schmerzlich vermisste rund 30 Meter lange "Ostkurve Hertha BSC" Zaunfahne zu präsentieren und in Brand zu setzen. Diese soll nach einem Einbruch in einen alarmgesicherten und auf dem Gelände des Olympiastadions liegenden Lagerraum entwendet worden sein. Der Einbruch wurde seinerzeit nicht zuletzt wegen der besagten Tapete als Revanche für eine Auseinandersetzung am Berliner Hauptbahnhof nach der Partie Hansa Rostock gegen den Karlsruher SC im November 2012 gewertet, in Folge dessen ein Hansa-Fan niedergestochen wurde. Kurze Zeit darauf zeigten Hansa-Fans beim Auswärtsspiel bei Rot-Weiß Erfurt erstmals das Spruchband "Kein Angriff auf Hansafans bleibt ungesühnt" und "Gute Besserung, Denny!" Ein Täter wurde letztlich nicht ermittelt und der Verdacht, dass dieser der Anhängerschaft von Hertha BSC zuzuordnen ist, erhärtete sich auch nach einem persönlichen Gespräch zwischen Vertretern der Hertha- und Hansa-Fanszene nicht.
Zurück ins Jahr 2017: Was beim Stande von 0:0 folgte, war ein minutenlanger Austausch von Pyrotechnik. Folgerichtig wurde die Partie, die als Montagabendspiel zur Prime Time im Free TV lief, für mehrere Minuten unterbrochen, weil auch Herthaner nichts unversucht ließen, hinten herum an die Rostocker heranzukommen. Die Berliner wurden jedoch von der Polizei schnell wieder in den Block zurückgedrängt und konnten so immerhin miterleben, wie ihre Mannschaft nach einem bisher torlosen Match noch zwei Mal traf und somit eine Runde weiterkam. Diese zwei Tore wurden den herbeieilenden Polizisten, die das Gebaren der Hanseaten auf der Süd unterbinden wollten, jedoch verwehrt. Denn im folgenden Video ist auch zu sehen, wie ein Hansa-Fan das Tor zum Block verriegelt und so ein Einschreiten der Polizei vereitelt.
Das Duell Hansa gegen Hertha barg letztlich vor allem in der Zeit zwischen 2010 und 2014 jede Menge Explosivität. Exemplarisch seien hier noch eine Massenschlägerei am Bahnhof Brandenburg/Havel, sowie ein Rostocker Zugangriff auf Fans des mit Hertha befreundeten Karlsruher SC genannt. Für zusätzlichen Zündstoff dürfte der jüngste an die Öffentlichkeit gelangte Vorfall sorgen, der aufgrund der bisherigen Erkenntnisse allerdings eindeutig nicht in eine Reihe mit den fußballtypischen Auseinandersetzungen gestellt werden darf. Nach dem Relegationsspiel zwischen Hertha BSC und dem Hamburger SV starb ein 55-jähriger Hertha-Fan. Laut Zeugenaussagen sei dieser von einem Mann, der aus einem Auto mit Rostocker KFZ-Kennzeichen gestiegen sein und FCH-Klamotten getragen haben soll, niedergeschlagen und mit dem Kopf aufgeprallt sein. Drei Tage später (22. Mai 2022) erlag der Familienvater seinen Verletzungen in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas in einem Berliner Krankenhaus trotz intensiver medizinischer Behandlung. Anfang August 2022 verkündete die Generalstaatsanwaltschaft Berlin die Festnahme eines 24-Jährigen, der letztlich im März 2023 zu dreieinhalb Jahren Haft und einer Zahlung von 10.000 Euro an die Hinterbliebenen verurteilt wurde.
In der abgelaufenen Saison 2023/24 trafen Hansa und Hertha nun erstmals seit vielen Jahren auch im Ligabetrieb wieder aufeinander. Vor dem Heimspiel der Hertha am 12. April 2024 tauchten einige der beim Einbruch 2014 entwendeten Materialien plötzlich wieder auf. "Ob geplant oder ungewollt wissen wir nicht, auch an diversen Theorien und Spekulationen werden wir uns nicht beteiligen", kommentierten die Harlekins Berlin im Nachgang des Spiels auf ihrer Website. Die Gruppe Haupstadtmafia 2003 zeigte in der Ostkurve ein Spruchband in Richtung Hansafans: "Ihr wollt hart und ostdeutsch sein? Wieso brecht ihr dann wie ehrenlose Wessis in Räume ein?" Im Gästeblock fanden sich rund 20.000 Rostocker in weißen und blauen Ponchos ein und fackelten zu Beginn des Spiels unzählige weiße und blaue Rauchtöpfe ab, die dem Olympiastadion den wohl dichtesten Nebel seit dem Champions-League-Spiel gegen den FC Barcelona am 23. November 1999 bescherte.
Erwähnenswert ist zudem eine weitere historische Verbindung, auch wenn diese nur am Rande mit einem direkten Duell zu tun hat. Die Heimstätte von Hertha BSC, das Berliner Olympiastadion, trägt nämlich bis heute den Zuschauerrekord eines Heimspiels des FC Hansa. Nachdem der Klub 1995 wegen Ausschreitungen gegen den FC St. Pauli zu einer Platzsperre verurteilt worden war, musste Hansa Rostock ein Heimspiel auf neutralem Boden austragen. Dass man hierfür ausgerechnet die von Rostock aus gut zu erreichende Hauptstadt wählte, in der bekanntlich zahlreiche Hansa-Fans wohnhaft sind, dürfte für die DFB-Funktionäre rückblickend ein Eigentor gewesen sein. Insgesamt fanden 58.492 Zuschauer den Weg ins Olympiastadion - mehr als doppelt so viele, wie das Ostseestadion seinerzeit an Fassungsvermögen bot (25.500). Gegen Eintracht Frankfurt endete das "Auswärts-Heimspiel" 1:1 unentschieden.
KURVENHELDEN, 16. August 2023
Quellen: @kurvenhelden_aktuell, @hansahistorie, Harlekins Berlin, Faszination Fankurve, Norddeutscher Rundfunk, berlin.de
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